Zeitgeist
- CT
- 23. März 2017
- 2 Min. Lesezeit

YOU CAN’T GRAB THIS
„Sex sells“ – das klingt nach „ältestem Gewerbe der Welt“ und insofern nach einer krisensicheren Strategie, auch für die Mode. Aber die Mode kann gar keinen Sex verkaufen. Was sie hingegen richtig gut kann, ist Sexismus verkaufen. Dabei war und ist es meist so, dass Männer für Frauen Kleidung entwerfen, die mit erotischen Signalen aufgeladen ist. „Man denke auch an Christian Diors New Look aus den späten Vierzigerjahren, der wiederum auf die Mode des 19. Jahrhunderts zurückgreift: Betonung von Hüften und Busen... Das galt und gilt als schön und erotisch reizvoll.“2
Es macht ja auch Spaß, Schlitze, Dekolletés und Cut-Outs in Kleider zu schneiden, wenn es zum Anlass passt. Aber „hier noch enger“, „da noch kürzer“ und „dort noch transparenter“ sollte vielleicht nicht die Antwort auf alles sein.
Das hatte in den 60er- und 70er Jahren bei uns schon einmal so Überhand genommen, dass wir in den 80er Jahren Hilfe von außen holen mussten, um uns wenigstens vorübergehend Erleichterung zu verschaffen:
„Die Sexualisierung des weiblichen Körpers der westlichen Kultur wurde auch durch die Silhouetten der japanischen Mode, die in den 1980er Jahren nach Europa kamen, in Frage gestellt. ... Die dadurch entstehende, graduelle Entsexualisierung wurde als Befreiung der Frauen vom erotischen Diktat des männlichen Blicks aufgefasst, denn die Körper wurden nicht mehr nach den im Westen üblichen sexuellen Koordinaten konstruiert. ..., im Gegenteil: Kawakubo bekleidet den weiblichen Körper ... als dreidimensionalen Raumkörper, den sie zusammen mit ihren Kleidern zu einer lebenden Skulptur von neuartiger, nie dagewesener Formgebung macht.“3 Diese für den Westen neue Herangehensweise an Kleidung schlug damals ein wie eine Bombe und hat eine ganze Generation geprägt.
Heute befinden wir uns in einer ganz ähnlichen Ausgangssituation wie damals: Eine neue Sex-Sells-Welle ist über die Modebranche hinweggerollt. Sie erreichte 2003 ihren Höhepunkt, bzw. Tiefpunkt. Denn noch weiter konnte man das Kleid nicht hochschieben und die Hose runterziehen als in der damaligen Gucci-Kampagne. Von da an konnte es mit dem Hosenbund nur noch nach oben und mit dem Rocksaum nach unten gehen.
Aber diesmal ging das auch ohne die Hilfe aus Fernost. Denn die Modebranche hat eine viel naheliegendere, Alternative zum „erotischen Diktat des männlichen Blicks“ entdeckt: den weiblichen Blick! Stella McCartney, Phoebe Philo und Claire Waight Keller zeigen uns was Frauen wirklich wollen: Sie wollen immer weiblich sein, aber sie wollen nicht immer sexy sein müssen.
Diese „graduelle Entsexualisierung“ hatte in den letzten Jahren zu einer Silhouette geführt, die zwar etwas weniger tussihaft und etwas entspannter war, aber dem Körper immer noch folgte.
Vielleicht mussten erst die „alten, weißen Männer“ wie Untote wiederauferstehen und Frauen auf der ganzen Welt mit rosa Mützen auf die Straße gehen, damit auch die Mode sich radikalisiert. Denn das schlummernde Potenzial, den Körper durch Kleidung „zu einer lebenden Skulptur von neuartiger, nie dagewesener Formgebung“ zu machen, entlädt sich erst jetzt explosionsartig.
Diese post-post-feministische Mode kann mehr als Slogans auf T-Shirts und rosa Mützen. Plötzlich gibt es eine Radikalität in den Volumen und Proportionen und eine Freiheit in Bezug auf Formen wie seit 30 Jahren nicht mehr. Was gestern noch ein guter Schnitt war, kann heute falsch sein, und umgekehrt. Oder, um es mit Li Edelkoorts Worten zu sagen: „In der kommenden Saison wird jeder abgehängt, der sich nicht von seinen klassischen Schnittmustern verabschiedet.“3
Den kompletten Text zum Zeitgeist finden Sie im FLASH CHANNEL.
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