WISSEN IST DAS NEUE SCHWARZ
- Eva Fischer
- 1. Aug. 2017
- 3 Min. Lesezeit

Wissen ist das neue Schwarz
Angela Merkel hadert. Die Frage, die im Raum schwebt, ist heikel und verbindet sich mit der angespannten Erwartung des Publikums. Zusammen eine explosive Mischung, das weiß sie.
„Sind Sie eine Feministin?“ - Ihre Antwort darauf kommt zögernd, beginnt mit einem gedehnten „Also.“ Und es wirkt so, als spränge in ihrem Kopf ein Gedanke hin und her: „Mist, antworte ich mit 'Ja' könnte ich den Zuspruch der konservativen männlichen CDU-Wähler verlieren, antworte ich mit 'Nein', verärgere ich die Frauen.“ Und so entscheidet sich Merkel für die Sich-Herausreden-Variante, dafür, sich nicht zu positionieren, um möglichst niemanden zu verärgern. Dabei hätte sie ein Zeichen setzen können. Und für Feminismus muss man ein Zeichen setzen.
Im Grunde genommen verbirgt sich hinter dem Begriff „Feminismus“ etwas zu ganz Harmloses – und damit auch etwas, das selbstverständlich sein sollte, erst recht in der heutigen Zeit. Eine Feministin, oder auch ein Feminist – denn auch Männer können Feministen sein – , ist jemand, der sich für die gleichen Rechte für alle einsetzt und für diese Rechte eintritt. Deswegen gibt es dem Dior-T-Shirt „We Should All Be Feminists“ nichts hinzuzufügen. Wir sollten alle Feministen sein. Wie könnte man das auch nicht sein?
Und doch: Wer sich in den sozialen Netzwerken herumtreibt und einen Blick in die Kommentarspalten von Artikeln wirft, wer liest, was die Kolumnisten der großen Nachrichtenmagazine von sich geben, wer Polit-Talks einschaltet und sich in die Debatten über herausgebrachte Studien einliest, der kann nur kopfschüttelnd zu dem Schluss kommen: Es gibt so unfassbar viele Männer und auch Frauen, die immer noch nicht verstanden haben, worum es überhaupt geht. Dass die Gründe, warum Frauen wirtschaftlich noch immer anders gestellt sind als Männer, auf gesellschaftliche Strukturen zurückgehen, die sich über die Jahrtausende geformt haben, und dass diese sich nicht von alleine auflösen werden.
Als die Suffragetten Anfang des vergangenen Jahrhunderts auf die Straße gingen, um für das Wahlrecht für Frauen zu kämpfen, waren sie mit Gegenargumenten konfrontiert, die an Hohn nicht zu überbieten waren: Frauen wären zu dumm für Politik, hieß es von den männlichen politischen Gegnern. Sie wären gar nicht in der Lage, politische Zusammenhänge zu verstehen, und es käme einer Katastrophe gleich, ihnen das Wahlrecht einzuräumen. Zudem bräuchten sie gar kein Wahlrecht. Denn ihre Interessen würden im Parlament durch ihre Väter, Ehemänner, Brüder und Söhne vertreten.
Blättert man in den westlichen Geschichtsbüchern nur wenige Jahrhunderte zurück, dann stellt man fest: Wie es den Frauen, auch denen aus gehobener Schicht, damals ergangen ist, wie genau ihr Leben aussah, was sie erlebten – all das ist nicht überliefert. Weil sie nicht ihre eigene Geschichte schreiben konnten: Lesen und Schreiben durften sie nicht lernen. Sie sollten sich nicht unkontrolliert Wissen aneignen können, und ebenso wenig in der Lage sein, ihr Wissen einem größeren Kreis weiterzugeben. Und so sorgten ihre Väter, Ehemänner, Brüder und Söhne dafür, dass sie als Frauen keine Spuren hinterlassen konnten, dass sie verschwanden, als wären sie niemals da gewesen.
Noch heute gibt es autoritäre Staaten, in denen es ethnischen Minderheiten untersagt ist, Lesen und Schreiben zu lernen. Denn Analphabetismus ist eine effektive Unterdrückungsmethode, die Wissenserwerb und die Meinungsvielfalt verhindert – und so dafür sorgt, dass der Unterdrückte immer klein bleibt und sich nicht über einen erheben kann. So sind auch in der heutigen Zeit zwei Drittel der weltweiten Analphabeten immer noch Frauen.
Dass Frauen an Universitäten sind, sie die Wissenschaft mitbestimmen, dass sie sich eine Zeitung kaufen und sich in ihr vertiefen können, dass es ihnen erlaubt ist, eigenständig Wissen zu erwerben und weiterzugeben – das ist eine große Errungenschaft, für die erbittert gekämpft wurde. Und für die in vielen Teilen der Welt noch immer gekämpft werden muss.
Und wenn man heute – besonders als Frau – hingeht und sagt: Feminismus braucht man nicht – dann ist das Verrat.
Es ist ein Verrat an all diesen Frauen, die Jahrhunderte vor uns gelebt haben, denen der Zugang zu Wissen verwehrt wurde und die auf diese Weise aus der Weltgeschichte herausgeschrieben werden konnten.
Wir sollten alle Feministen sein in einer Gesellschaft, in der Wissen das neue Schwarz ist.
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