Transparenz ist das neue Cool
- Julia Karolina Frey
- 12. Sept. 2017
- 4 Min. Lesezeit

„In der Geschichte unserer westlichen Welt ist es bisher alle paar hundert Jahre zu einer tiefgreifenden Wandlung gekommen. In solchen Zeiten gestaltet sich die ganze Gesellschaft innerhalb von Jahrzehnten vollständig um – ihre Weltsicht, ihre Grundwerte, ihre sozialen und politischen Strukturen, ihre Kunst und ihre wichtigsten Institutionen“ – der berühmte Managementdenker Peter F. Drucker bringt es in einem Essay für den Harvard Business Review auf den Punkt. Wir befinden uns im Zeitalter der Digitalisierung, in dem Geschäftsprozesse, technologische Innovationen in allen Bereichen unseres Alltags, die Optimierung unseres Selbst, der grenzenlose Zugang zu Informationen und die Gewichtung von Rollen innerhalb der westlichen Welt gerade neu ausgehandelt werden. Fest steht, dass Individuen in Gesellschaften noch nie zuvor die Möglichkeit auf so viel Mitsprache und Einfluss hatten. Hashtag youvegotthepower. Das merken vor allem auch die Unternehmen – die neue Rolle des Konsumenten stellt viele Branchen auf den Kopf, auch die Modebranche.
Durch die digitalen Technologien verändern sich der Zugang für Produzenten und Konsumenten, so wie sie Mode sehen, entdecken, darstellen und praktizieren. Die Medialisierung innerhalb der Branche hat zu einer enormen Konsumsteigerung und einer Beschleunigungsgesellschaft geführt, in der das Individuum vermeintlich im Mittelpunkt steht. Dabei ermöglichen exorbitante Online Netzwerke und Social Media Plattformen eine weitgehend transparente Art der Partizipation, durch die die Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten an Relevanz gewinnen, weil sie über diese Plattformen immer mehr in die Prozessentwicklung der Modebranche miteinbezogen werden und diese auch öffentlich diskutieren können. Es entwickelte sich eine neue Mischform aus Produzenten und Konsumenten, in der Fachliteratur wird für dieses Phänomen der Begriff Prosumer verwendet, für die die Entwicklung der Modeblogger exemplarisch ist. Sie konsumieren Mode, produzieren jedoch auch eigenen Content und die Erfolgreichsten unter ihnen haben durch ihre hohe Anzahl an Followern eine enorme Reichweite und Einfluss auf das gesamte System – weil sie jetzt zum System selbst gehören.
Hashtag lookwhoissittinginthefrontrow. Das hat dazu geführt, dass sich durch die fortgesetzte Kommunikation von Bloggern und Influencern das Machtgefälle innerhalb der Branche grundlegend umstrukturiert hat und dezentraler geworden ist. Modedesigner und große Modehäuser haben das Potential der gehypten Blogger längst erkannt und nutzen sie als Marketingkanäle.
Doch auch immer wieder neu aufpoppende App-Trends wie Snapchat und Co. stellen Marketingexperten vor fortgesetzte Rätsel, weil keiner so ganz genau weiß, wie man diese neuen Tools effizient für sein Unternehmen nutzen kann. Ähnlich unerfahren reagiert man bei der Neuregelung der Koordination von Kommunikation, der Kontrollmechanismen, der Frage nach Qualität und den rechtlichen Rahmenbedingungen, wenn es zu einer Zusammenarbeit mit Bloggern oder der Einbeziehung von Kunden in Schaffungsprozesse auf Open Source Plattformen kommt. Das Handbuch muss hierfür noch neu geschrieben werden oder wird gerade geschrieben. Momentan ist die Modebranche in ihrem Wandel noch ein riesiges Experimentierfeld, in deren Grenzenlosigkeit die Rollen und Regeln neu ausgehandelt werden. Das bezieht sich nicht nur auf den Einfluss der Modeblogger, sondern auch die Frage nach der Geschlechterzuordnung. Große Modehäuser wie Gucci, Prada und Givenchy schicken in ihren Männerschauen auch Frauen in Männermode über ihre Laufstege. In Gender-Debatten wird beispielsweise diskutiert, dass das Geschlecht nur von der Gesellschaft künstlich konstruiert ist. Man kann diese freidenkende Ansicht feiern oder nur den Kopf darüber schütteln, hier scheiden sich die Geister. Die Designer wollen damit nicht nur saisonale Trends vermitteln, sondern viel mehr noch das Lebensgefühl von heute, bei dem die Einzigartigkeit und die Identität jedes Einzelnen in einem toleranten Umfeld im Fokus stehen. Der Zeitgeist, in dem die Individualisierung durch die Digitalisierung gefördert wird, ist geprägt durch einen Überfluss an Möglichkeiten des medialen sowie materiellen Konsums, was auch zu ambivalenten Entwicklungen geführt hat. Einerseits werden Trends der High Fashion Modelabels von Fast Fashion Labels günstig nachproduziert und in einer grenzenlosen Online-Welt beschleunigt verbreitet. Andererseits ist auch ein wachsendes Bedürfnis nach reduzierterem, aber hochwertigerem Besitz und Minimalismus zu beobachten, was sich in der Slow Fashion sowie in Nachhaltigkeitsprozessen innerhalb der Modeindustrie wiederspiegelt. Man sehnt sich wieder nach Echtheit, nach Sinn, nach Authentizität.
Positiv betrachtet, haben die aktuellen Entwicklungen trotzdem zu einem demokratischeren und somit höheren gesellschaftlichen Niveau in der Auseinandersetzung mit Mode geführt. Schließlich kann heute jeder tragen was er will, darf mitreden und dank der neuen Technologien den Zeitgeist aktiv mitgestalten – auch wenn davon nicht alle begeistert sind. Modejournalisten, die ihr Handwerk perfektioniert haben, zweifeln immer noch die Qualität der Inhalte der neu ermächtigten Influencer und Modeblogger an. Nicht zu Unrecht: Diese neuen Berufsgruppen sind weder etabliert, noch definiert oder anerkannt. Doch das ist noch für viele zweitrangig, weshalb sich etablierte Modejournalisten wohl damit abfinden müssen, wenn ein neuer Stern am Blogger-Himmel vor Ihnen in der ersten Reihe platziert wird.
Früher ging es um die Marke, heute geht es verstärkt um Aufmerksamkeit und Austausch, wofür die Modebranche an sich eine perfekte Ausgangsbasis bietet. Designer inspirieren Modehungrige mit neuen Kollektionen und Modehungrige inspirieren Designer mit ihren Streetstyles. Es ist ein endloses Geben und Nehmen von Ideen für neue Looks. Kreativität wird ja bekanntlich durch Reibungen gefördert. Der moderne Konsument kauft heute nicht einfach nur was ihm vor die Nase gehalten wird, sondern ist besser informiert als je zuvor, was ihn zu einem wissenden Kunden macht, der die Macht hat, Wünsche in einem transparenten Umfeld öffentlich zu äußern und sich damit in den Entwicklungsprozess der Mode einzubringen. Das beweisen benutzerzentrierte Umfragen und die Generierung von neuen Ideen durch Crowdsourcing, die Zusammenarbeit mit Kunden auf Open Innovation Plattformen und die Vermarktung der Produkte auf Online-Foren und Blogs. Und das ist erst der Anfang. Möglicherweise wird der Kunde der Zukunft seine Kleidung dank 3D-Ganzkörper-Scanner maßangefertigt und individuell selbst gestaltet, anfertigen lassen können. Was man bisher nur in Science-Fiction Filmen kennt, könnte bald Realität werden. Hashtag thefuturewillbetechnological.
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