Wohin steuert uns die Mode?
- Dr. Diana Weis
- 14. Feb. 2018
- 4 Min. Lesezeit

Die Mode ist ein Feld, das vorwiegend von Laien bespielt wird. Ob man will oder nicht: jede und jeder muss sich jeden Tag aufs Neue die Kleiderfrage stellen. Dabei bedeutet „Was ziehe ich heute an?“ eigentlich „Wer möchte ich heute sein?“.

© "Mirror" (CC BY-NC- ND 2.0) by alebaffa
„Eine Dame trägt keine Kleider. Sie erlaubt den Kleidern, von ihr getragen zu werden.“ (Yves Saint Laurent)
Ich vertraue niemandem, der die Mode nicht zu schätzen weiß. Es ist ein populäres Missverständnis, dass die Mode nichts weiter sei als eine launische Herrin, die uns zwingen möchte in der einen Saison filigrane Lederschuhe und in der nächsten klobige Sneaker schön zu finden.
Die Mode kann eine Gefährtin sein, die in verwirrenden Zeiten Orientierung bietet. Die Mode ist das Handwerkszeug, dass wir dringend benötigen um unsere Position in der Welt nicht nur nach Außen anzuzeigen, sondern auch zu verinnerlichen.
Kleidung muss passen. Nur zu wem?

© "3" (CC BY-NC- ND 2.0) by AstridWestvang
„Zuerst wisse, wer du bist, dann kleide dich entsprechend.“ (Epiktet)
Unsere Kleidung muss zu uns passen – sowohl im konkret physischen als auch psychologisch-imaginären Sinne. Sie ist ein komplexes Kommunikationssystem, das dem Gegenüber in Sekundenbruchteilen Essenz dessen, was unseren Charakter, unsere Identität ausmacht, vermitteln kann. Allerdings liegt genau hier das Problem: zu wissen, wer man ist, ist gar nicht so einfach. Wir sind flexibel, mobil, müssen ständig neue Fähigkeiten lernen, müssen uns und unser Leben fortwährend optimieren. Wer mit der Mode geht, setzt sich dem Verdacht aus, flatterhaft zu sein. Als erstrebenswert gilt dagegen, einen eigenen unverwechselbaren Stil zu haben. Individualität ist zur Pflicht geworden, die Tag für Tag aufwendig in Szene gesetzt werden muss. Aber wie können wir aus dem Überangebot an Waren genau das herausfiltern, was unsere Persönlichkeit unterstreicht, unseren Vorzügen schmeichelt und das, was und einzigartig und liebenswert macht, anderen Menschen nach außen hin offenbart? Die imaginäre Frau
© "jil sander" (CC BY-NC- ND 2.0) by odg superstation
„Es ist nicht einfach, sich gut zu kleiden.“
(Jil Sander)
Einen persönlichen Stil zu entwickeln erfordert harte Arbeit ebenso wie eine lebhafte Phantasie. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die Modedesignerin Jil Sander, deren Werk das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt unter dem Titel "Präsens" gerade eine Retrospektive widmet. Sanders Vision einer starken, selbstbestimmten und dennoch femininen Geschäftsfrau entstand Ende der sechziger Jahre in einer Boutique im Hamburger Stadtteil Pöseldorf. Jil Sander startete ihre Karriere nicht als Designerin, sondern als Unternehmerin. Als Boutique-Besitzerin trug sie bereits im Alter von 24 Jahren geschäftliche Verantwortung und stand in täglichen Kontakt mit ihren Kundinnen. Zwar waren Jil Sanders erste Entwürfe für den lokalen Markt konzipiert, ihre Inspirationen hatte Sanders jedoch aus Kalifornien mitgebracht. Bei einem Aufenthalt in Los Angeles hatte sie Frauen gesehen, sie sich als Kundinnen wünschte: moderne Frauen, die sich nicht über ihre Ehemänner definierten, sondern eigene Karrieren anstrebten. Dass es heute eine Selbstverständlichkeit ist, als Frau unabhängig und weltgewandt zu sein, ist zum Teil auch der Verdienst von Jil Sander. Als sie anfing, waren die Frauen, für die sie ihre Kleidung entwarf in Deutschland noch sehr selten. Weil Sander aber die Idee einer starken selbstbestimmten Frau so klar vor Augen stand, prägte sie nicht nur einen Stil, sondern ihre Mode verlieh Frauen auf der ganzen Welt auch das Selbstbewusstsein, mehr vom Leben zu verlangen. Sie sagten sich: Wenn ich aussehen kann, wie eine Chefin. Dann kann ich auch eine Chefin sein. Realitäten schaffen. Veränderungen anstoßen.
Das nächste Zitat stammt von dem deutschen Philosophen Walter Benjamin. Er ist einer von den Guten, der die Mode sehr geschätzt hat und sie vor allem auch immer ernst genommen hat:
„Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüsste im Voraus nicht nur über neue Strömungen in der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen.“ Für Benjamin ist die Mode also eine Art kosmischer Kaffeesatz, aus dem sich die Zukunft vorhersagen lässt. Aufgabe der Mode kann es daher nicht sein, dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Das, was einmal Zeitgeist werden kann, manifestiert sich zuerst in der Mode. Die Flappergirls der zwanziger Jahre schnitten sich zuerst die Haare und die Röcke ab und dann wurde über ein neues Frauenbild diskutiert. Die Gammler und Blumenkinder der sechziger Jahre ließen sich die Haare lang wachsen und erst danach, wurden konventionelle Männlichkeitsnormen in Frage gestellt. Mode schafft konkret erfahrbare Realitäten, die fundamentale gesellschaftliche Veränderungsprozesse in Bewegung setzen können. Fashion is dead … das ist der Titel eines Manifests, dass die niederländische Trendforscherin Li Edelkoort 2015 veröffentlichte. Der eine oder andere von Ihnen mag es gelesen haben. Darin wirft sie der Modebranche vor, ihrem Publikum in den letzten Jahren nur fade, schlecht aufgewärmte Retro-Konzepte zu servieren, statt kühne inspirierende Utopien zu entwerfen. Coco Chanel, Christobal Balanciaga, Yves Saint Laurent – Mode-Genies von alten Schlag, die nicht nur die Art, wie die Menschen sich kleideten revolutionierten, sondern auch wie sie gingen, standen, schliefen und liebten. Edelkoort kritisiert, dass die Laufstege der Gegenwart nur noch von den Gespenstern der Vergangenheit bevölkert wären. Vintage-Stil, 60er, 70er, 80er, 90er Revivals wohin man blickt. Neues zu proklamieren, statt ewig das Gestrige zu reproduzieren, sei aus der Mode gekommen. Es fehle gänzlich an neuen Konzepten, wodurch die lebensverändernde Kraft der Mode mehr und mehr verloren gehe. Li Edelkoort wetterte auch gegen den grassierenden Individualismus. Sie beschreibt unsere Gesellschaft als eine, die sich nach Werten wie Gemeinschaft, Zusammenhalt und Beständigkeit sehne. Die Modeschulen müssen ihre Absolventen auf die Arbeit in und mit einer vernetzten Welt, in der Kommunikation und der Austausch von Ideen zunehmen wichtiger werde, als die Performance der eigenen Einzigartigkeit. I feel like shit but look great Keine Frage, die Modebranche steht in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen. Aber die Antwort auf Fast Fashion, immer billigeren und immer schneller auf den Markt geworfenen – mit Verlaub – Fetzen und dem damit einhergehenden zunehmenden Verlust von nicht nur Qualität, sondern auch echter Innovation… ... die Antwort darauf kann nicht eine Ablehnung der Mode sein, sondern im Gegenteil: ihre Aufwertung. Die Mode hat uns viel zu sagen, wir müssen ihr nur zuhören wollen. Die Mode ist eine Wunschmaschine, die unsere unbewussten Sehnsüchte sichtbar macht. Sie ist Erfüllungsgehilfin unseres individuellen Wollens, weil sie täglich auf neue beweist, dass eine selbstgewählte Identität genau so echt ist, wie eine zugeschriebene.
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