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Warum Moncler genial ist

  • CT
  • 12. Apr. 2018
  • 6 Min. Lesezeit

Wieder eine Schauenrunde. Und wieder war die Show von Gucci die spektakulärste. Aber die Präsentation von Moncler war die wichtigste. Denn Moncler stellte mit seinem „Genius Project“ ein Konzept vor, das so plausibel ist, dass es die ganze Art, wie Kollektionen entstehen, revolutionieren könnte. Das Mastermind dahinter heißt Remo Ruffini und hat Moncler von 45 Millionen zu 1,2 Milliarden Euro Umsatz geführt.

Die Kunst, eine erfolgreiche Kollektion für eine Marke zu entwerfen, bestand bisher immer in der richtigen Balance aus Tradition und Innovation: Einerseits galt es an vergangene Erfolge anzuknüpfen und andererseits neue Kaufanreize zu bieten. Einerseits musste man genug Kontinuität zeigen, um die kostbare Identität der Marke zu pflegen, andererseits unbedingt innovativ sein, um für Kunden und Presse spannend zu bleiben.

Ruffini: „Das fragen mich meine Investoren auch immer. Meine Antwort: weiterentwickeln und sich selbst treu bleiben.“

Der Hausdesigner sorgte für Beides: Für die Innovation sowieso, denn er ist ja Modeschöpfer, d.h. Kreativität ist sein Berufs. Aber gleichzeitig garantiert er auch die Kontinuität. Denn jeder Designer hat seine Handschrift, seinen eigenen Stil. Und dieser individuelle Stil bildet ganz von selbst ein verbindendes Element zwischen den einzelnen Kollektionen. Dadurch wird die Identität des Designers unvermeidlich zu einem Teil der Marken-Identität. Entsprechend vorsichtig müssen Marken mit dem Wechsel von Designern sein. Oft erweist sich dieser Teil ihrer Identität als unersetzlich, wie z.B. bei Jil Sander oder Alexander McQueen. Denn die Handschrift eines Designers lässt sich noch schwieriger fälschen als eine persönliche Unterschrift.

Diese Vorstellungen von Modedesign und Kollektionserstellung sind so alt wie die Mode selbst. Sie werden an den Modeschulen gelehrt und in fast allen Unternehmen praktiziert. Auch der Erfolg von Alessandro Michele bei Gucci basiert noch auf genau diesem Prinzip. Aber die Folgen der Digitalisierung lassen dieses System jetzt unzeitgemäß erscheinen. Es bröckelt an allen Enden.

Ruffini: „Unsere Strategie war ungefähr zehn Jahre alt: Zwei Designerkollektionen - Gamme Rouge von Giambattista Valli und Gamme Bleu von Thom Browne. Schon seit einiger Zeit hatte ich das Gefühl, dass das nicht mehr in die Zeit passt.“

Alles fing mit unseren Smartphones an. Durch sie stehen wir im permanenten Austausch mit der Welt - beim Aufwachen, vorm Einschlafen, beim Überqueren der Straße, auf der Toilette... Diese Omnipräsenz von Information und Kommunikation und die damit verbundene Beschleunigung von Information und Kommunikation hat unsere Aufmerksamkeitsspanne extrem verkürzt. Etwas, das eine halbe Stunde her ist, ist in unserer Timeline und damit auch in unserem Bewusstsein schon wieder ganz weit nach unten gewandert. Da reicht es natürlich auch für Marken nicht mehr, dass sie alle halbe Jahr mit einer neuen Kollektion und einer neuen Werbekampagne in unserem News-Feed auftauchen.

Ruffini: „Wenn es in der Vergangenheit in Ordnung war, zweimal im Jahr – im September und im Februar – Kollektionen zu präsentieren, ist es das jetzt nicht mehr. Wo so viel passiert, wollen wir öfter mit unseren Kunden sprechen – jeden Monat, jede Woche, jeden Tag, wenn es sein muss.“

Also mussten vier, acht, zwölf Kollektionen im Jahr her. Und damit sollte auch der Spagat zwischen Tradition und Innovation plötzlich zwölfmal im Jahr gelingen. Jedes mal sollte es eine Kollektion sein, die absolut typisch für die Marke ist und trotzdem so überraschend anders, dass sie sowohl von der Presse, als auch von den Kunden gefeiert wird. Da sind die Konflikte und Enttäuschungen vorprogrammiert: Die Designer sind komplett überfordert und nach kürzester Zeit ausgebrannt. Und die Marken machen die Designer dafür verantwortlich, dass sich die Begeisterung des Publikums nicht verdoppelt, wenn man die Anzahl der Kollektionen pro Saison verdoppelt.

Im Gegenteil: Die inflationäre Menge an Pre-, Cruise-, Resort- und sonstigen Zwischen-Kollektionen kommt beim Kunden nur noch als Rauschen an. Der zunehmend fachfremden Modepresse ist die bloße Tatsache, dass sich mal wieder jemand schöne Kleidung ausgedacht hat, ohnehin schon längst keine Meldung mehr wert. Was jedoch immer Schlagzeilen macht, sind Designerwechsel und die gab und gibt es aus den oben genannten Gründen immer öfter. Jedes mal spekuliert die Presse, ob der Designer gekündigt hat, weil siehe oben, oder ob die Marke gekündigt hat, weil siehe oben. Und jedes mal verbreitet man Gerüchte darüber, wer der Nachfolger wird, und ist sehr gespannt, wie die oder der Neue die Marke interpretieren wird.

Es liegt nahe, dass die Branche auf den Gedanken verfällt, den Buzz, den ein Designerwechsel mit sich bringt, für sich zu nutzen. Wer die positiven, aber nicht die negativen Effekte eines Designerwechsels haben will, der entscheidet sich für die Soft-Variante, nämlich den Gastdesigner, die Kollaboration, die Capsule, die limited Edition... Kanye West für Adidas, Rihanna für Puma, Pharrell Williams für G-Star... Das „by“ oder das „x“ zwischen zwei Namen garantiert die gleiche Welle an Aufmerksamkeit, ohne dass dem Unternehmen mit dem Abgang des Hausdesigners auch Know-How und Markenidentität verloren gehen. Bei der Collab wird die Markenidentität nicht geschwächt. Im Gegenteil: Sie wird durch den Imagetransfer sogar noch bereichert, weil man mit dem Gastdesigner auch dessen Glaubwürdigkeit auf einem bestimmten Gebiet ins Haus holt. Um in den vollen Genuss dieses Effektes zu kommen, hat z.B. Louis Vuitton das Co-Branding auf ein radikal neues Niveau gehoben, als man auf die ohnehin schon mit Monogrammen übersäte Kollektion zusätzlich riesige Supreme-Logos drucken ließ. Im Idealfall gewinnt man so neue, junge Kunden, ohne die bestehenden, alten zu verlieren.

Ruffini: „Aus diesem Grund werden wir verschiedene Strategien verfolgen, die auf unterschiedliche Generationen ausgerichtet sind - auch wenn unser Ziel wäre, die gleiche Jacke an einen Skater und auch an seine Großmutter zu verkaufen - da wir beabsichtigen, einen breiten Kundenstamm zu erreichen.“

Dass sich ein Markenname mit einem anderen Namen schmückt und dass sich eine bestehende Kollektion mit einer Kapsel-Kollektion interessant macht, ist nicht neu. Das radikal Neue an Ruffinis Ansatz ist, dass er diese erfolgreiche Strategie zum Grundprinzip erhebt. Die Collabs und die Capsules ergänzen nicht die Kollektion. Sie sind die Kollektion. Die Gastdesigner ersetzen die Hausdesigner. Für den Herbst/Winter 2018 präsentierte er erstmalig nicht mehr je eine Kollektion, die von je einem Hausdesigner für die gesamte Saison konzipiert wurde. Stattdessen zeigte er in separaten Räumen acht Kollektionen, die von acht Gast-Designern entworfen wurden. Und diese acht Kollektionen werden von Juni an im Monatsrhythmus in die Läden kommen.

Ruffini: „Wir haben auf der ganzen Welt gesucht und ganz konkret nach Designern und Kreativen gesucht, die eine bestimmte Kundengruppe ansprechen könnten. Die eine ist für die eleganten Damen zuständig, der andere für die Millennials. Eins meiner ‚Lieblings-Genies’ ist die britische Designerin Simone Rocha: sehr jung, ziemlich romantisch. Dann brauchte ich jemanden, der die Snowboard- und Musik-Crowd anspricht, der Japaner Hiroshi Fujiwara, der die Marke Fragment macht. Der ist zwar über 40, aber spricht die ganz Jungen an. Die Zusammenarbeit mit Craig Green ist nicht ganz einfach, aber er ist konzeptionell einfach wahnsinnig stark. Der Japaner Kei Ninomiya von Noir geht auch in diese Richtung.“

Radikal neu ist auch, dass Ruffini der Preis für dieses Vorgehen bewusst ist und dass er ihn gerne zahlt. Er hat die langjährige und sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit Thom Browne und Giambattista Valli beendet.

Ruffini: „Thom Browne ist für mich einer der talentiertesten Designer. Aber wir mussten uns weiterentwickeln. Moncler ist nicht Gucci, wir sind keine klassische Modemarke. Neue Ideen sind bei uns wichtiger als ein Hausdesigner.“

Die erfolgreich eingeführten High-Fashion-Linien „Gamme Bleu“ und „Gamme Rouge“ wurden zerschlagen. Und wenn Ruffini verlautbaren lässt, „die Fragmentierung sei geradezu der Zweck der Sache,“ dann lohnt es sich, über die Bedeutung und Tragweite dieses Satzes nachzudenken. Vielleicht ist es ja an der Zeit, unsere überkommenen Vorstellungen von Markenkern und Corporate Identity zu hinterfragen.

Ruffini: „Verschiedene Designer für verschiedene Stimmungslagen. Es ist nun einfach ein Haus mit verschiedenen Stimmen.“

Ist es überhaupt noch zeitgemäß, alles kontrollieren und streng auf Linie bringen zu wollen, wenn vom Influencer bis zum Follower jeder das Bild von der eigenen Marke mitgestaltet? Und wenn den Total Look eh niemand mehr trägt und alles längst „item-driven“ ist, dann braucht man sich auch nicht mehr zum Sklave des eigenen Stils zu machen. Vielleicht ist ein spielerischer Umgang mit den verschiedenen Facetten einer Marke für die Kunden ja viel spannender als eine globale Gleichschaltung.

Ruffini: „Vor fünfzehn Jahren waren alle überzeugt, dass sie überall auf der Welt die gleichen Läden bauen müssten: gleiche Innenarchitektur, gleiche Produkte. Das war damals wichtig, insbesondere in den neuen Märkten wie China. Das ändert sich jetzt. Der Kunde will unterschiedliche Erfahrungen. Unser Geschäft basiert auf Touristen und Reisenden, vor allem in den Metropolen. Wer von Seoul nach New York fliegt, muss dort in dem Moncler-Laden was ganz anderes finden als zu Hause. Sonst wird die Marke langweilig.“

Bei einigen ist Ruffinis Botschaft schon angekommen: Gerade hat Diesel seine „Red Tag Platform“ angekündigt, auf der eine Serie von Kapsel-Kollektionen präsentiert werden sollen und Tod’s stellt sich gerade in einer ähnlichen Richtung auf.

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