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Zeitgeist in der Mode

  • GMT
  • 3. Sept. 2018
  • 4 Min. Lesezeit

Im aktuellen Brigitte-Heft erscheint das Interview mit Gerd Müller-Thomkins, Deutsches Modeinstitut, in kürzerer Fassung. Hier nachfolgend lesen Sie das vollständige Interview mit allen Fragen und Antworten.

In der Mode ist heute alles erlaubt. Was denken Sie über diese neue „Mode-Freiheit?“ Mit Freiheit sollte man/frau umgehen können. Wenn alles möglich scheint heißt das noch lange nicht, dass auch alles nötig ist. Die Demokratisierung von Mode kann auch zur Proletarisierung führen. Stil wird wichtiger als Mode. Die Runways sind voll von verrückten und manchmal sogar ziemlich komisch anmutenden Kreationen (Balenciaga, Gucci... die Oberschicht bedient sich an der Kleidung der Unterschicht, etc.) Was macht diesen „Look“ so reizvoll für die modebegeisterte Gesellschaft? Tatsächlich sprechen wir ja in der Mode heute weniger von gesellschaftlichen Schichten als von modischen Millieus. Der Worker-Look bspw. ist auch „Rule-Breaker.“ Die modische Avantgarde war im besten Fall auch immer Provokation. Wir leben in Gesellschaften die zwischen arm reich gespalten sind - es fehlt die Mitte. Vintage, used und destroyed Looks sind vom Ursprung heute eine Attitüde der Wohlhabenden. Derer, die ihres Wohlhabens nicht verdächtigt werden wollen. Stilistiken aus der Arbeitskleidung sind da vermeintlich authentisch und als Begründung praktisch und robust - insgesamt also cool! Da sieht man schon mal junge Mütter in Dachdecker-Hosen, „weil da so viel reinpasst“. Da ist Mode, die was nützt - ein zusätzliches Attribut. Warum wollen wir uns gerade jetzt so kleiden? Ich denke viele Frauen haben genug von „Chichi“. Wir leben in einer sehr taffen Zeit und die Mode spiegelt das wieder. Auch First Ladies - wie Ms. Trump - müssen lernen, dass man dem Elend nicht in Couture-Kleidern begegnen kann. Das erscheint uns obszön. Es geht um Wahrhaftigkeit auch in der Mode, die man als Echo der aktuellen ästhetischen Moral sehen könnte. Was halten Sie persönlich von diesem Phänomen? Ich persönlich bewerte weniger, als das ich beobachte. Mode ist nonverbale Kommunikation und die Kunst meinen Mitmenschen etwas über mich visuell mitzuteilen. Die Mode steht heute stark unter medialer Beobachtung und häufiger denn je in der Kritik. Nachhaltige Verarbeitung, soziale Verantwortung in der Produktion und Fairer Handel sind gefordert. Sich also in „Sack und Asche“ zu kleiden kann einerseits ein unterbewusster Ausdruck von Demut sein, wie wir es auch im Purismus erkennen können, andererseits auch ein stilistisch-snobistisches Understatement der „happy few“, vergleichbar mit den Jüngern des Normcore in Beverly Hills. Instagram hat einen großen Einfluss auf die Mode. Wie beeinflusst dies unser Aussehen / die Art wie wir uns kleiden? Die Digitalisierung der Kommunikation ist und wird weiterhin einer der wesentlichen Veränderungsfaktoren für die Mode sein. Heute noch sprechen wir lediglich vom Posten der Selfies, von Bloggerinnen und Influencern. Aber hier schon führt die Möglichkeit, dass sich jeder modisch zu Wort melden kann zu einer enormen Veränderung der Machtverhältnisse im Markt der Mode. Die Hochglanzmagazine haben die alleinige Deutungshoheit für die Avantgarde verloren. Täglich werden „Lieblingsteile“ zu Bestsellern. Es geht immer weniger um Marken als um Einzelteile. Wie die Kommunikation selbst singularisiert sich die Mode jenseits saisonaler Kollektionen. Natürlich beeinflusst das unser Bekleidungsverhalten je nachdem welcher modischen „Crowd“ wir angehören. Geht es letztendlich nur noch ums Spektakel und Auffallen? Vor allem im Hinblick auf die jüngere Generation? Peter Ingversen, der Designer der Marke Noir, hat einmal in einem Vortrag bei uns gesagt: „The reason why we dress up is, because we all want to have sex!“ In einer Zeit multioptionaler Selbstdarstellung und maximaler Freiheiten fühlen sich viele genötigt modisch noch „eine Schüppe“ drauf zu legen. Das gilt weniger noch für die Konsumenten von Mode als für die Designer, die mit ihren Styles quer durch die Social-Media-Kanäle geschleust werden wollen. Wie in der Politik bekommt derzeit derjenige die größte Aufmerksamkeit, der am lautesten schreit, polemisiert und polarisiert auch in der Mode! Was kommt als nächstes? Wird der Eklektizismus noch lange ein Thema sein? Die Vielfältigkeit des Andersartigen positiv wahrzunehmen bleibt weiterhin adäquat im Zeitgeist der Gesellschaft wie der Mode. Die Muster selbst unserer eigenen Persönlichkeit sind ein Patchwork. Sicher werden wir auch wieder Gegenbewegungen beobachten können, wie das Revival des Kostüms in seiner beeindruckenden Schlichtheit und auch der Hosenanzug im Business behält seine Bedeutung im Understatement. Mode ist immer sowohl als auch, weil ein Trend den nächsten jagt oder auch ergänzt. Was ist Mode überhaupt noch? Da ist wie bei der Kunst – Mode ist das, was gekauft wird. Und das ist nicht immer das, was auf den Laufstegen gezeigt wird. Schon das Wort Runway untermalt die Flüchtigkeit vorbei rasender Outfits, die man manchmal besser lediglich als ästhetischen Zwischenruf verstehen sollte. Aber es bleibt immer etwas hängen, bei denjenigen die die Szene betrachten und daraus ihre Inspirationen schöpfen. Mode ist vor allem permanente Veränderung, eine Evolution des Ästhetischen, die sich vorgenommen hat Regeln zu brechen. Mode ist die hohe Kunst „unmoralisch“ zu sein und dafür bewundert zu werden. Und was ist keine Mode mehr? In erster Linie dem Mainstream zu folgen. Das Gleiche wie andere zu tragen. Das man Mutter und Tochter stilistisch nicht mehr unterschieden kann. Billig und viel zu kaufen. Gibt es noch „wahren Stil? Wieder möchte ich sagen! Je intensiver wir uns in dieser „me-myself-and-I-Gesellschaft“ mit unserem Ego auseinandersetzen, umso mehr sollten wir in der Lage sein unseren eigenen Stil zu tragen. Je authentischer wir damit verfahren, umso größer ist die Möglichkeit wahrhaftig zu erscheinen und damit einen „wahren Stil“ zu repräsentieren.

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