top of page

Herr der Farben

  • CW für TextilWirtschaft
  • 2. Dez. 2016
  • 4 Min. Lesezeit

Von Christel Wickerath, TextilWirtschaft Nr. 48 2016, Seite 28-29, 01.12.2016 Fotos ©Telekom / Eric Remann

Die Digitalisierung macht auch vor komplexen Farbinformationen nicht halt. Mit der Software von Color Digital sollen nicht nur Abweichungen der Vergangenheit angehören. Auch der Produktionsprozess

soll deutlich schneller werden.

Bei Brax ist die Sache klar. Es soll digitalisiert werden, was geht. Die Herforder haben sich längst auf die Zukunft eingestellt und wissen, dass es in diesen Zeiten fahrlässig wäre, sich nicht zu rüsten für das,

was kommt.Bislang hat Digitalisierung in der deutschen Modeindustrie vor allem in der Logistik eine Rolle gespielt. Jetzt blicken die Unternehmen in die andere Richtung – zur Produktion. Dreh- und Angelpunkt sind dabei verlässliche Farbinformationen.

Das Deutsche Modeinstitut (DMI) in Köln forscht schon seit über zwölf Jahren zum Thema Farb-Kommunikation. 2013 wurde dann die Color Digital GmbH gegründet,die bislang Pilotprojekte durchführte.Seit diesem Monat, so Geschäftsführer Olaf Kölling, sei das System „scharf gestellt“. Er erklärt: „Unsere Technik ist evolutionär. Wir betrachten jede Anforderung von Kunden separat und entwickeln die Software darauf hin weiter.“

Color Digital arbeitet in zwei Themenfeldern. Zum einen wurde eine physikalisch basierte spektrale Beschreibung von Farben entwickelt. Alle Elemente von Helligkeit, Farb-Sättigung und Lichtbedingungen werden dabei berücksichtigt. Zudem kann das System diese Informationen für jeweils unterschiedliche

Endgeräte unverfälscht umrechnen. Zum anderen wurde die sogenannte DMIx Cloud-Lösung bereitgestellt. Sie ermöglicht es, diese Informationen zentral abzulegen und kommunizierbar zu machen. „Color Digital hat damit genau das entwickelt, was der Markt braucht“, sagt Andreas Seidl von dem Software-Entwickler Human Solutions aus Kaiserslautern.

Das Problem vieler Kunden ist laut Seidl, dass es zunehmend viel Zeit und Geld kostet, Farben zu kommunizieren. Die Farbinformationen, die bislang auf dem Markt seien, könnten das nicht leisten: „Zwischen zwei Türkis-Tönen liegen manchmal vier Farben.“ Zudem dauere sehr lange, um aus der Produktion die gewünschten Muster zu erhalten. Um das zu erreichen, werden die Muster nicht selten wochenlang zwischen Färbereien oder Druckereien und Design-Ateliers hin und her geschickt.

Bei der französischen Messe Première Vision kann man davon ein Lied singen. Um die richtigen Farbtöne für Trendforen und für Farbkarten zu erstellen, musste stets lange und aufwendig getüftelt werden. Seit mehreren Saisons liefert nun Color Digital diese Ergebnisse mit einer enormen Kosten- und Zeitersparnis.

Pascaline Wilhelm, Fashion-Director aus Paris, sagt: „Die Première Vision ist Kunde von Color Digital. Der Auftrag lautet die Saisonfarben zu digitalisieren und für verschiedene Medien umzusetzen.“ Es geht aber nicht nur um Zeitersparnis. Gleichzeitig sollen die Farb-Kommunikation der Messe weiterentwickelt und Schnittstellen zu anderen Software-Programmen geschaffen werden. Diese können dann von den Designern genutzt werden, die dadurch mit den Farbinformationen deutlich professioneller als heute weiterarbeiten können. „Man stelle sich nur mal vor, dass alle Pattern-Designer in einer entsprechenden Cloud mit ihren saisonalen Grafiken zu finden wären. Was wäre das für ein Gewinn für eine exakte digitale Weiterverarbeitung“, sagt DMI-Geschäftsführer Gerd Müller- Thomkins. Gerade die Vernetzung mit den Vorstufen ist eines der Hauptargumente für den Einsatz digitaler Informationen, die jeder Drucker oder Färber lesen kann.

Einer der Pilotkunden von Color Digital ist das Druckereiunternehmen TMC Thermocolor aus Westerstede. Geschäftsführer Ulrich von Glahn weiß um die Herausforderungen: „Wir müssen die Kundenvorgaben ganz exakt treffen. Oft bekommen wir aber nur einen briefmarkengroßen Schnipsel als Vorlage.“ Color Digital liefere farbmetrisch genaue Angaben für unendlich viele Farben. Diese Informationen könnten überall auf der Welt abgerufen werden.

Erste Anwendungen wurden bereits getestet. Von Glahn:„Bei uns spielen auch Werte wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit eine große Rolle.Anders als früher,bekommen wir jetzt manchmal sogar schon im ersten, aber auf alle Fälle im zweiten Versuch die exakte Farbe hin.“ Falls beim ersten Druck der Ton nicht genau getroffen wird, errechnet das System einen Korrekturwert, sodass leicht nachjustiert werden kann.

Die Realität heute ist, so von Glahn, dass es von der Design-Idee bis zur Fertigstellung des Prototypen für den Vertrieb Monate dauert. Die Software beschleunige den Prozess drastisch. Man könne zudem gemeinsam mit Partnern online an Moodboards arbeiten, Zutaten zuordnen und eine breite Datenbasis erarbeiten. „Ich finde das revolutionär.“ Bei Thermocolor wird schrittweise vorgegangen. Die Hoffnung ist,dass recht schnell viele Kunden und Zulieferer mitmachen,damit sich die Datenbasis vergrößert.

Ebenfalls mit mit Augenmaß vor geht Detlef Österreich, Leiter der Orga/EDV bei der Brax- Leineweber Gruppe in Herford: „Ab Januar können unsere Kunden die Vertriebskarten, auf denen wir die Stoff- und Farbmuster präsentieren, auch digital beurteilen.“ Bislang sind alleine fünf Mitarbeiter damit beschäftigt Stoffe auszustanzen und aufzukleben, um 30 Vertriebsmitarbeiter mit den Informationen auszustatten. Die Digitalisierung dieses Prozesses sei ein sensibles Feld, weiß der Experte. Deshalb wird eine Saison parallel gearbeitet und zusätzlich zu den digitalen Informationen werden auch noch die Stoff-Läppchen mitgenommen. Zudem werden eingescannte Farbinformationen für den Produktionsprozess eingesetzt. Die gesamte Software wird mit Color Digital abgestimmt. Österreich: „Die Einsparpotenziale liegen auf der Hand. Für uns ist das die unausweichliche Zukunft.“

Die Möglichkeit, Farbdatenbanken einzurichten, ist für alle an der Beschaffung Beteiligten spannend.Sie erhalten geordnete Informationen, können auf Bestseller-Farben zurückgreifen, Trendfarbkarten sofort nutzen und Vorlieferanten einbinden. In der Cloud können 3D-Musterteile erzeugt werden, denen beispielsweise Zutaten-Lieferanten gleich die passenden Produkte zuordnen können.

Die Branche allerdings ist derzeit noch nicht ganz so weit. Auf die Produktion von Prototypen kann noch nicht verzichtet werden, ist sich Peter Lachenit, Marketing Manager von Ara aus Langenfeld, sicher. Aber: „Wir müssen heute nicht für jede Farbe Erstmuster erstellen. Ein Muster reicht, die anderen Farben werden bei uns bereits über Color Digital präsentiert.“ Richtig spannend werde in Zukunft das Thema Industrie 4.0, sagt Lachenit. Die Vision ist, dass exakt nach Marktlage passgenau, flexibel und viel schneller produziert werden kann. „Produkt-Entwicklung, Vertrieb und Marketing profitieren von Color Digital“, sagt er.

Obwohl die Vorteile auf der Hand liegen, war es für die Mitarbeiter von Color Digital anfangs nicht einfach, potenzielle Kunden zu überzeugen. „In den Chefetagen der Bekleidungsindustrie ist die Wichtigkeit angekommen“, so Kölling.Die größere Hürde seien die Menschen,die die Technik umsetzen müssen. Mancher könne sich einfach nicht vorstellen, wie man in Zukunft arbeiten werde. Um diese Bedenken auszuräumen, werden Workshops angeboten. Kölling: „Wenn man mal gesehen hat, wie es läuft, ist der Bann gebrochen.“

Ein weiteres großes Thema ist die Sicherheit, vor allem beim Stichwort Cloud.Berechtigterweise gebe es Ängste, so Kölling. Aus diesem Grund habe sich Color Digital für die Deutschen Telekom als Partner entschieden. Das Unternehmen biete mit sicherem Standard an, dass Benutzer individuell verschiedene Bereiche für Partner freigeben können. Natürlich spielen auch die Kosten eine Rolle. Um kleine Schritte zur Digitalisierung der Farbwelt zu ermöglichen, können beispielsweise Freelance-Designer mit einer 100 Euro- Prepaidcard einsteigen. Der Preisaufbau richtet sich nach Anwendungen, die aus einem Baukasten wählbar sind.

Die Frage des richtigen Tons. Mit herkömmlichen Methoden können nur Annäherungen erzielt werden. Color Digital soll jede Farbe in eine physikalisch basierte spektrale Beschreibung umwandeln.

Comments


bottom of page