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'SCHLUSS MIT HÄSSLICH'

  • Carl Tillessen
  • 2. Mai 2019
  • 5 Min. Lesezeit

Alles fing damit an, dass sich ein paar Party-Kids bei Humana schräge 80er-Jahre-Klamotten herausgefischt haben, um damit im Nachtleben Aufsehen zu erregen. Je schräger, desto besser. Wie bei einer Bad-Taste-Party ging es dabei vor allem darum, sich gegenseitig in Geschmacklosigkeit zu überbieten, oder vielmehr zu unterbieten: dreifarbige Fallschirmseiden-Blousons mit absurd überschnittenen Schultern, Karotten-Jeans mit Acid-Waschung, weiße Stiefel mit gestauchtem Schaft... Ein Unglück kommt selten allein. Und natürlich hat es funktioniert – es hat Aufsehen erregt.

Ugly Fashion bei Chloé H/W 17

Und natürlich sind die Modedesigner auf den Hype eingegangen. Allen voran natürlich Demna Gvasalia mit seinen wegweisenden Vêtements-Kollektionen. Nach und nach hat die High Fashion den schrägen Look salonfähig gemacht. Die Herangehensweise an die Mode der 80er-Jahre war aber immer noch dieselbe wie bei den Jugendlichen in den Clubs: Egal ob bei Balenciaga, Gucci oder Chloé - es ging immer noch um den modischen Tabubruch, den bewussten Verstoß gegen die Regeln des guten Geschmacks. „Ugly Fashion“, „Ugly Sneaker“, „Dad Jeans“, „Dad Sneaker“... Um deutlich zu machen, dass die 80er-Jahre-Zitate selbstverständlich nicht ernst, sondern nur ironisch gemeint waren, wurde die Ironie hier besonders dick aufgetragen. Damit es selbst der Letzte versteht, gab es sogar Tennis-Socken in Sandalen.

Für den Handel nicht einfach. Denn Ironie verstehen am Ende eben doch immer nur die Insider. Die Mehrheit ist froh, wenn sie nicht versehentlich gegen die Regeln des guten Geschmacks verstößt. Auch dem Urheber der Ugly Fashion, Demna Gvasalia, wird langsam klar, dass Hässlichkeit in der Mode langfristig kein so gutes Verkaufsargument ist. Gerade ruderte er in einem Interview mit der Women’s Wear Daily zurück: „Der Triple S sollte klobig, aber nie hässlich sein. Es war ein Spiel mit Proportionen und nicht irgendeine Art von Spielerei mit hässlichem oder nicht hässlichem Schuhdesign."

Falco soll einmal gesagt haben: „Wer sich an die 80er erinnern kann, hat sie nicht miterlebt.“ Wenn überhaupt, dann erinnert man sich an diese Zeit offenbar als eine einzige Bad-Taste-Party – ein ganzes Jahrzehnt, reduziert zu einem trashigen Musik-Video in VHS-Qualität. Wenn die Erinnerung an die 80er-Jahre nicht vollständig ausgelöscht ist, dann ist sie doch ganz offensichtlich äußerst selektiv und lückenhaft.

Für alle Modeschaffenden wird es jedoch höchste Zeit, diese Gedächtnislücken zu schließen und die Erinnerung an das Schöne und Kunstvolle in der Mode der 80er-Jahre aufzufrischen. Und die Inspiration für diesen nächsten modischen Schritt findet man nicht auf dem Flohmarkt, sondern im Museum. Man findet sie nicht auf den Straßen sondern auf den Laufstegen der 80er-Jahre. Insbesondere lohnt es sehr, sich mit den großen modischen Genies auseinanderzusetzen, die dieses Jahrzehnt hervorgebracht hat. In dem hierfür sehr empfehlenswerten Dokumentarfilm Fashion! Golden Eighties https://www.imdb.com/title/tt4717546/ stehen zu Recht vier Namen im Mittelpunkt: Azzedine Alaïa, Thierry Mugler, Claude Montana und Jean Paul Gaultier.

Azzedine Alaïa

Der erste, Alaïa, war einer der ganz großen Künstler der Mode. Dass man ihn überhaupt zwischenzeitlich aus den Augen verloren hatte, lag nur daran, dass er seine Kleidung eher außerhalb der Schauen – und damit unterm Radar der Modepresse – gezeigt hat. Jetzt entdeckt man Alaïa wieder. Nach seinem plötzlichen Tod Ende 2017 wurde die Ausstellung Azzedine Alaïa – Je suis Couturier http://www.culture.gouv.fr/Thematiques/Design-mode/Actualites-mode/Exposition-Azzedine-Alaia-Je-suis-couturier organisiert. Die Retrospektive, die 2018 in Paris eröffnet wurde, zeigte, wie viel die Modewelt gerade jetzt von Alaïa lernen kann: die Kunst des Drapierens sowieso, das perfekt konfektionierte Leder und natürlich die fließenden Kapuzen, die Glamour und Street gleichzeitig sind... All das hat, in der Folge der Ausstellung, Spuren in den Kollektionen der Designer hinterlassen.

Von Alaia inspirierter Look bei Balmain F/S 19 | von Alaia inspirierter Look bei Versace F/S 14

Aber auch das Frauenbild von Alaïa erweist sich als hochaktuell. Seine Vision einer starken Frau, die ihren Körper sexy inszeniert, ohne sich zum Objekt zu machen, hat in den 80er-Jahren noch viele überfordert und konnte nur von wenigen Frauen – wie Grace Jones – ausgefüllt werden. Jetzt ist ihre Zeit gekommen.

Thierry Mugler

Auch Thierry Mugler ist so ein Mode-Star der 80er-Jahre, der gerade wieder Schlagzeilen macht, obwohl er die Mode schon vor 15 Jahren verlassen hat. Designer wie Jeremy Scott für Moschino hatten sich schon für den Sommer 2019 von seinen legendären Entwürfen aus den 80er- und 90er-Jahren inspirieren lassen.

Moschino F/S 19, von Mugler inspiriert

Olivier Rousteing griff für seine Balmain-Kollektion so offensichtlich auf Muglers alte Entwürfe zurück, dass es ihm heftige Plagiatsvorwürfe eintrug.

Wie aktuell Muglers zwanzig bis dreißig Jahre alten Ideen jetzt gerade sind, zeigte sich auch, als die Rapperin Cardi B. bei den diesjährigen Grammy-Awards mit Kleidern aus seinem Archiv allen anderen Stars mühelos die Show stahl.

Auch Kim Kardashian sorgt in letzter Zeit regelmäßig in „Vintage Mugler“ für Furore.

Von Mugler inspirierter Look bei Moschino F/S 19

Muglers modisches Ausnahmetalent wird dieses Jahr mit gleich zwei Ausstellungen gewürdigt, einmal mit einer Gruppenausstellung des Kostüminstituts des New Yorker Metropolitan Museum of Art mit dem Titel Camp: Notes on Fashion, https://www.metmuseum.org/exhibitions/listings/2019/camp-notes-on-fashion

aber vor allem mit der großen Einzelausstellung Thierry Mugler – Couturissime,

die gerade in Montreal eröffnet wurde und danach nach Rotterdam weiterziehen wird. Warum Muglers Entwürfe gerade jetzt gezeigt werden müssen, erklärt der Kurator der Ausstellung: "They correspond to a whole aesthetic that re-centered women. And I think that's especially appealing in this political time - to see this image of women who decide what they want to be, not what they have to be, being in control of it all."

Claude Montana

Anfang Februar gab Gareth Pugh bekannt, dass er zum ersten Mal seit 13 Jahren keine eigene Kollektion auf der Fashion Week zeigen werde, um sich stattdessen anderen Projekten zu widmen. Eines davon ist die Wiederauflage von Highlights aus Claude Montanas Archiv, mit der ihn die Vintage-Fashion-Plattform Byronesque beauftragt hatte. Da die Original-Kleidungsstücke nicht mehr vorhanden waren, wurden sie anhand von Fotos und Filmen liebevoll rekonstruiert. Das Ergebnis ist eine Kapselkollektion von elf, auch handwerklich, sensationellen Teilen.

Pugh

Auch für Byronesque-Inhaberin Gill Linton war die überraschende Aktualität von Montanas 80er-Jahre-Entwürfen der Grund, sie neu aufzulegen: “While the collection is an exact reissue of past Montana designs, this isn’t an exercise in nostalgia. It is very important that the brand and the collection is honoured in a very contemporary way.”

Von Montana inspirierter Look bei Balenciaga F/S 17

Auch Montanas starkes Frauenbild ist noch heute wegweisend, wie Gareth Pugh hinzufügt: „His work managed to equate power and seduction. I feel he never fetishised women, he celebrated them, and that is key – especially today.“

Jean Paul Gaultier

Mit dem ihm eigenen Humor hat Jean Paul Gaultier die anstehende Würdigung seines Frühwerks selbst in die Hand genommen: Mit seiner Show für den Sommer 2013 feierte er schon seine eigene 80er-Jahre-Party mit seinen größten Hits aus der Zeit. Um eventuelle Zweifel an der zeitlosen Klasse der 80er-Jahre gar nicht erst aufkommen zu lassen, ließ er die Models als Lookalikes der großen Stilikonen dieser Zeit über den Laufsteg laufen: Grace Jones, Madonna, Annie Lennox, Sade... Wer könnte dazu nein sagen?

Grace Jones Lookalike bei Gaultier F/S 13 | Sade Lookalike bei Gaultier F/S 13

Dass Gaultiers Entwürfe aus den 80er- und 90er-Jahren eine unerschöpfliche Inspirations-Quelle sind, zeigt unter anderem die neue Prada Kollektion, die seine Silhouetten und Designideen aus der Zeit um 1990 aufgreift.

von Gaultier inspirierter Look bei Prada H/W 19/20

An Gaultiers Ideen führt ohnehin kein Weg vorbei, denn zu den Themen „Bomberjacke“, „Trenchcoat“, „Jeansjacke“ und „Perfecto-Lederjacke“ gibt es wohl keine Variation, auf die er nicht schon vor 30 Jahren gekommen wäre.

Ursprünglich hatte das große Revival der 60er- und 70er-Jahre damals auch als Bad-Taste-Party begonnen: Mitte der 90er-Jahre fand es eine bestimmte Szene „kultig“, mit möglichst schrägen Schlaghosen und knallengen Flohmarkt-Hemden mit Riesen-Krägen zu House-Musik zu tanzen. Der große kommerzielle Erfolg kam für den 70er-Look aber erst, nachdem Tom Ford ihn für Gucci hyper-ästhetisch und -elegant umgesetzt hatte. Er nahm uns mit auf eine Zeitreise ins New Yorker Studio 54 und zeigte uns die andere, die glamouröse Seite der Seventies.

Jetzt sind Sie dran. Zeigen Sie den Menschen, dass die 80er-Jahre nicht nur Trash waren. Nehmen Sie sie mit auf eine Zeitreise ins Pariser Les Bains Douches und zeigen Sie ihnen die andere, die stilvolle Seite der Années Quatre-Vingt. Anregungen dafür gibt es jedenfalls derzeit genug.

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Alle Fotos soweit nicht anders angegeben ©Martin Veit Hamburg

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