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FASHION WEEK A/W 20/21 – REVIEW

  • Alexandra von Schledorn
  • 21. Jan. 2020
  • 7 Min. Lesezeit

Nachhaltigkeit trifft Mainstream Vom 13. bis zum 17. Januar wurde im Rahmen der Berlin Fashion Week die Mode für den Herbst/Winter 20/21 präsentiert. Trotz Terminüberschneidung mit den Menswear-Schauen in Paris waren die Messeplattformen und begleitenden Konferenzen sowie die Laufsteg-Shows und zahlreichen Events außergewöhnlich gut besucht. Während so manches meist junge Label mit exzentrischen Modestyles weiterhin auf Eskapismus setzt und auch die Präsentationen der Modeschulen am Montag teils eher den Eindruck kreativer Exzesse für möglichst viel Aufmerksamkeit vermittelten, sind bei den großen etablierten Messen in Berlin andere Töne angesagt, nicht nur farblich. Der Klimawandel sowie die Fridays-for-Future-Aktivisten auf der ganzen Welt treiben die Nachhaltigkeits-Offensive jetzt massiv voran. Mit der Messe NEONYT hat die Hauptstadt schon frühzeitig eine in Europa herausragende Plattform für Sustainable Fashion etabliert.

NEO FASHION 2020 © KOWA BERLIN | CREATE AN IMPACT | GRACE

Sustainability ist nicht nur ein Trend, sondern eine Notwendigkeit „Mode liegt gerade nicht so im Trend“ – schrieb die BILD-Zeitung. „Auch Branchen-Outsider wissen: Die Modeindustrie ist ein Klima-Killer, so wie es ist, kann es nicht bleiben.“ Kann es auch nicht – denn der Markt ist überfüllt und ein Skandal folgt dem anderen. Der Umgang mit Mode – Wegwerfmentalität, eine zunehmende Versandflut und Retourenverbrennung, aber vor allem die Produktionsmethoden auf Kosten von Natur und Umwelt haben die Branche in die Kritik gebracht. CHANGE lautet die Devise. Das Thema Sustainability ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und somit im modischen Mainstream. Sustainability heißt vor allem auch Bewusstseinswandel. Die Branche sieht sich in der Pflicht zu agieren. Kaum ein Messe-Stand, an dem nicht schon von außen sichtbar gemacht wurde, welche Nachhaltigkeits-Initiativen und Engagements umgesetzt werden. Kaum eine Kollektion, in der es nicht zumindest Ansätze gab – und die zudem auch modisch voll den Trends der Zeit entspricht – ob Eco Denim bei Liu Jo oder Pullover aus recyceltem Cashmere bei Grace. Selbst die Designerin Marina Hoermanseder verarbeitet seit Anbeginn pflanzliches Leder. Sogar Ihre Goodiebags waren aus recyceltem Papier und der Inhalt vegan oder recycelt. Jetzt, da die Plastiktüte aus dem Handel verbannt ist, sind die ebenso schönen wie praktischen Stofftaschen zahlreicher Modelabel für die Besucher willkommene Give-aways. Viele kleine Schritte oder auch ganz große in Richtung Sustainability. Ob Plastikmüll aus den Ozeanen oder der hohe Wasserverbrauch und der Einsatz von Chemikalien bei der Baumwollproduktion, es gibt viele Ansatzpunkte. Und auch Lösungsvorschläge. Denims, bei deren Herstellung nur zwei oder sechs Liter Wasser verbraucht werden, sind zukunftsfähig.

ECOALF | MUD Jeans

Mode, die erzählt werden muss Zu der wachsenden Anzahl an Modelabels, die streng nach ethischen und ökologischen Kriterien produzieren, kommen zunehmend neue wie auch renommierte Unternehmen. Eine Vielzahl an Zeichen, Etiketten, Hinweisen und Siegeln macht deutlich, wie viele unterschiedliche Ansätze es gibt: Ob Eco friendly oder fair fashion, aus geschredderten Plastikflaschen oder -Müll aus dem Ozean, aus Zuschnittresten und wiederaufbereiteter Wolle oder alten Denim Jeans – Recycling und Upcycling, Pelz- und tierfrei oder vegan, aus Ananas-Abfällen- oder Fischhaut, aus Kaffeeresten oder Kork, bis hin zu: „Wir leben Nachhaltigkeit – im Unternehmen.“ Jedoch gebe es auch viel „Greenwashing“. Wie nachhaltig und fair die Mode wirklich produziert wurde, ist letztendlich nicht immer ganz einfach zu erkennen. Da die nachhaltig produzierten Modelle modisch aus der Nische heraus sind und die zahlreichen Initiativen nicht auf den ersten Blick sichtbar sind, bedeutet das derzeit noch viel Aufklärungsarbeit. Neben eigenem Verantwortungsbewusstsein braucht es deshalb auch verlässliche Standards. Der Grüne Knopf als einheitliches Siegel ist da nur der Anfang. Weg von Fast Fashion hin zu nachhaltiger Bekleidung will Bundesumweltministerin Svenja Schulze Industrie und Handel bringen. Die Weichen für diesen Kurswechsel müssten gemeinsam mit der Modebranche gestellt werden, „notfalls auch per Gesetz“. Mit dem geplanten Lieferkettengesetz will die Bundesregierung Unternehmen in die Pflicht einer Kreislaufwirtschaft nehmen, das heißt u.a. Retoure nicht mehr einfach vernichten zu dürfen. Über den derzeitigen Entwicklungsstand von Sustainable Fashion informierten sich auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, die Fraktionsvorsitzende von B90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, B90/Die Grünen-Bundestagsmitglied Renate Künast, die Sprecherin für Wirtschaft und Sport der Fraktion B90/Die Grünen Nicole Ludwig und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller auf der NEONYT.

PINGPONG | WOLFSKIN TECH LAB „Handeln, bevor uns die Zeit ausgeht!“ Bio-Baumwolle, keine Pestizide im Anbau der Rohstoffe und möglichst wenig bis keine Chemikalien in der Herstellung, faire Löhne und Arbeitsbedingungen für alle Arbeiter entlang der Lieferkette und die Verwendung recycelbarer Materialien – Armedangels ist vorbildlich in Punkto Fair Fashion und beweist, dass ökologische Mode auch optisch weit weg vom „alten Ökoklischee“ ist. Das Kölner Unternehmen gehört heute zur modischen Spitze nachhaltiger Brands und wird im Handel neben hochwertigen Trendlabels positioniert. Mit dem „Circ Tee“ bringt Armedangels jetzt ein T-Shirt auf den Markt, das zu 50 Prozent aus chemiefrei recycelten T-Shirt-Fasern und zur anderen Hälfte aus Lyocell, einer Faser aus natürlichen Rohstoffen, besteht. Das Konzept stellt die Zukunft der Marke dar: von einem linearen zu einem kreisförmigen Produktionsansatz. Um den Kreislauf zu gewährleisten, ruft das Unternehmen auf, Materialien in Gebrauch zu halten und ihnen ein unbegrenztes Leben zu geben. Darum will man alte Produkte zurücknehmen, um sie zu recyceln. Die Herausforderung für die Branche ist, umweltfreundlich Mode zu bezahlbaren Preisen zu produzieren und trotzdem profitabel zu sein. Doch hier tun sich die großen Player oft schwerer als kleinere Unternehmen und Neugründer.

ARMEDANGELS Positive Aufbruchstimmung ins neue Jahrzehnt Mit mehr als 210 Sustainable Fashion Brands aus 22 Ländern versammelte die Neonyt so viele nachhaltige Modemarken wie nie zuvor – und auch die Zahl der Fachbesucher bei der PANORAMA sei laut Messeveranstalter im Vergleich zur letzten Ausgabe um ein Vielfaches gesteigert worden. „Wir sind förmlich überrannt worden“, verkündete Messechef Jörg Wichmann schon nach dem ersten Tag. Besonders gefreut habe man sich über die Präsenz zahlreicher internationaler Einkäufer. Die Stimmung unter den Ausstellern war dementsprechend von begeistert bis euphorisch. Stundenweise sei so viel los gewesen, dass man den Andrang kaum bewältigen konnte, hörte man beim Hosenhersteller Alberto. Die Zusammenlegung von NEONYT und Panorama mit der Selvedge Run auf dem Tempelhof-Gelände bewies sich als überaus geglückte Fusion, die gegenseitig von den Besuchern profitierten. Zahlreiche Vorträge und Paneldiskussionen boten Aufklärung und Information und die Gelegenheit zum Austausch. Hier wird deutlich, dass ein Wandel in der Modeindustrie nur durch Kollaboration der verschiedenen Player erreicht werden kann.

NEONYT Mit einer gut kuratierten Marken-Mischung mit reichlich Potenzial für individuelle Styles und Stories stellte die PREMIUM sich als verlässliche Plattform für hochwertige Womens- und Menswear inklusive Accessoires internationaler Aussteller dar. Auffällig war diesmal eine besonders hohe Teilnahme skandinavischer Brands. Die Messe im ehemaligen Postbahnhof am Gleisdreieck hatte konzeptionell nur Feintuning betrieben, und auch hier stand Sustainability im Fokus des Interesses. Brands wie Ecoalf und Armedangels zeigten darum eine zweite Messe-Präsenz in zentraler Eingangs-Position. Die auf junge Urban Streetwear ausgerichtete angegliederte SEEK hatte ebenfalls einen sehr guten Besucherzuspruch. Ein weiterführendes Informations-Programm bot die FASHIONTECH: mit Diskussionsrunden und Vorträgen zu Investment und E-Commerce, Innovation und Marketing, Digitalisierung und Retail bis hin zur Generation Z.

GRACE | HERZEN'SANGELEGENHEIT Auch wenn die großen Zugpferde wie Boss, Dorothee Schumacher und Michalsky auf dem Berliner Schauenplan fehlten und statt A-Prominenz Influencer und Blogger die Front Rows besetzen, bietet die Stadt allein schon mit ihrer pulsierenden und kreativen Szene so viel Inspiration für die Besucher, um ihren Stellenwert im internationalen Kontext zu behaupten. In vergangenen Saisons im Zelt am Brandenburger Tor das Aushängeschild der Fashion Week, hat die MBFW jetzt nach immer wieder wechselnden Standorten ihre zentrale und auch größere Location im Kraftwerk gefunden. An den insgesamt drei Tagen wurden hier insgesamt 15 Shows präsentiert, darunter Riani, Sportalm, ODEEH, Lena Hoschek und Marina Hoermanseder sowie auch Talents from South Aftrica und die Gemeinschaftspräsentation der NEONYT – live auf dem Runway und auch per Public Viewing Screen für alle draußen. Wolfgang Joop zeigte gleich zwei Kollektionen: Am Dienstagabend die Herbst/Winter- Edition der Meisterwerk-Kooperation mit dem Hemdenhersteller van Laack im KadeWe und am Mittwoch seine neueste Eigenlinie Looks by Wolfgang Joop im Kraftwerk. Mit der Kollektion für eine junge Zielgruppe, die mit neuem Partner, dem Label Crew der JCK Holding umgesetzt wurde, setzt der Designer durch die Verwendung von recyceltem Cashmere und Polyester ökologische Ansätze um. „Reduce, Reuse und Recycle.“

VAN LAACK BY JOOP | LOOKS BY WOLFGANG JOOP

Mit Unterstützung seiner Sponsoren inszenierte der Designer Marcel Ostertag seine neue Kollektion erneut im Westin Grand Hotel. "Eine Hommage an Gianni Versace", seinen Lieblingsdesigner, mit Reminiszenzen an die 70er Jahre. Der Andrang seiner Fangemeinde war so groß, dass nicht alle Platz fanden und manche Gäste die Veranstaltung bereits vor der Show verließen. Im Concept Store von Andreas Murkudis in der Potsdamer Straße stellte der Bielefelder Hemden-Spezialist Seidensticker seine erste Luxury-Capsule Collection vor: Drei Hemden , drei Styles – in Schwarz, Weiß und Dunkelblau. Vom Prototypen des klassischen Hemdes abgeleitet, in unterschiedlichen Längen und aus hochwertigen Materialien wie Baumwoll-Seide oder Wollmischung. Mit den hochpreisigen Hemden begibt sich Seidensticker auf ein neues Terrain. Und beweist mit den exklusiven Styles: Weniger ist Mehr! Die Edition wird vorerst nur im Murkudis-Store angeboten und ab Mitte des Jahres auch bei ausgewählten nationalen und internationalen Händlern.

Seidensticker bei Murkudis | Marc Cain

Mode, die Inhalte mit Werten vermittelt, heißt es auch bei Anja Gockel. Ihre Winterkollektion „JOY“ präsentierte sie wie gewohnt im Foyer des Luxushotels Adlon Kempinski. Mit leuchtenden Farben möchte die Designerin der Lebensfreude Gewicht verleihen. „Sie ist die Energie, die wir in schwierigen Situationen brauchen, um nachhaltig Dinge zum Guten zu wenden - für uns selbst und für unsere Welt.“ „Pearls, Stories und Champagne“ lautete das Motto bei Marc Cain, inspiriert von den Goldenen Zwanzigern: Für Hollywood-Glamour sorgte medienwirksam die US-Schauspielerin Katie Holmes, die extra zur Show eingeflogen wurde. Passend zu im Art Deco geschmückten Tischen unter glitzernden Kronleuchtern wurde die Show stilgetreu von einem Conferencier moderiert, und auch die Jazz-Musik der Live Band versetzte die Zuschauer in die Golden Twenties. Die Mode: tragbare Eleganz – Clean- und Brit Chic, dazu volumiger Strick, florale Kleider und glänzendes Suiting, Wolliges und Karos in Kombination mit Leder und Fake Fur. Eine Hommage an Karl Lagerfeld mit faszinierenden Fotos von Helmut Fricke war das Motto des F.A.Z.-Modeempfangs, bei dem sich die Branche traditionell gern zum entspannten Austausch trifft. Unter den Gästen auch Renate Künast, die im Talk mit Alfons Kaiser, Ressortleiter Deutschland und die Welt | F.A.Z., zugab, wie viel Freude auch sie an Mode hat. Mehr zu den in Berlin gezeigten Modetrends lesen Sie morgen in unserem 2. Teil des Messereports.

 
 
 

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